Rückblick zum 9. Forschungskolloquium (Netzwerk Forschung AM) und Kalender zur Forschung

Am Reformationstag traf sich in Kassel zum 9. Mal das Netzwerk Forschung AM. Nach einer kurzen Vorstellung der Teilnehmer*innen zeigte Carsten Gründemann, wo er mit der anthroposophisch-medizinischen Forschung – speziell am neuen Basler Lehrstuhl für Translationale Komplementärmedizin – hin möchte. Sein Ziel: das Zusammenbringen etablierter wissenschaftlicher Methoden mit der Anthroposophischen Medizin. Sein Fokus: pflanzenbasierte Therapien. Wichtig für Gründemann sind „Schicksalsgemeinschaften“, Menschen, die Forschung aus eigenem Interesse heraus bewegen. Erfolgreiche Forschung braucht solche Gemeinschaften mit kleinen, individuellen Studien. Individuelle Förderung im gemeinschaftlichen Rahmen ermöglicht die Freiheit im Handeln und im Forschen. Und durch diese Freiheit entsteht Respekt gegenüber den Dingen und dem Geist genauso wie gegenüber den Kritikern und dem Spannungsfeld aus anderen Forschungsmeinungen. Hier sollten sich Forscher frei und offen bewegen können, und das muss im Nachwuchs gestärkt werden.

Im Anschluss berichteten David Martin und Arndt Büssing von der Arbeit des Gerhard-Kienle-Lehrstuhls der Universität Witten/Herdecke. Büssing stellte in einem kurzen Überblick die Breite der Lehrstuhl-Forschung vor, die viele Tools entwickelt hat und online präsentiert. Martin gab Einblick in den aktuellen Stand der Fever-APP, die naturalistische Forschungsdaten generieren und dem Wissensmangel zur Bedeutung von und zum Umgang mit Fieber entgegenwirken möchte. Langfristig sollen Leitlinien und Realität näher zusammengebracht und eine Kommunikationsbasis geschaffen werden, die Kosten, Angst und Medikation im Umgang mit Fieber reduziert. Dazu wurde ein Katalog zur Patientenbefragung durch MFAs und zur ärztlichen Reflektion des Bedarfs von Patientenvorstellung und Therapie entwickelt. Damit kann ein eigenes Fieberregister aufgebaut werden, das sich an individuellen Patientengeschichten orientiert. Die APP bietet so eine Chance auf eine umfassende und integrative Perspektive zu Fieber.
Am Nachmittag präsentierte Axel Zeeck den Rudolf-Steiner-Fonds, dessen Zweck die Förderung von Studien auf der Grundlage der wissenschaftlichen Arbeit von Rudolf Steiner ist. Die Stiftung ist klein und fördert häufig im Verbund mit z.B. der MAHLE-Stiftung. Bevorzugt unterstützt werden definierte und ergebnisoffene Projekte junger Wissenschaftler*innen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund (seltener Geisteswissenschaften), die Brücken zu anderen wissenschaftlichen Perspektiven schlagen, „etwas wagen“ und eine Publikation außerhalb des anthroposophischen Zusammenhangs anstreben. Mehr zum Rudolf-Steiners-Fonds findet sich auf der Homepage: www.rudolfsteinerfonds.de

Danach sprach Friedrich Edelhäuser über die Entwicklung des IBAM und die neue Professur für Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Anthroposophischen Medizin der Universität Witten/Herdecke. Das IBAM möchte den Beitrag der AM für die Weiterentwicklung der Medizin herausarbeiten, insbesondere in der Lehre. Dabei basiert die Ausbildung weniger auf reiner Wissensvermittlung als vielmehr auf der Förderung medizinischen Engagements und mitgebrachter Fragen und Ideale der Studierenden. Es geht um eine ärztliche Praxis, die die Individualität des Patienten in der Therapie berücksichtigt, und eine Ausbildungsdidaktik, die die Individualität der Studierenden sieht und fördert. Methodisch setzt das IBAM verstärkt auf ein Projektstudium. Studierende entwickeln Projekte und arbeiten diese selbstständig aus. Gute Projekte entstehen auch immer da, wo das IBAM-Team Impulse setzt, die von den Studierenden mitgedacht, weiterentwickelt und umgesetzt werden. Und mit steigender Semesterzahl können die IBAM-Inhalte auch mehr in die konventionelle Ausbildung integriert werden. In den klinischen Blöcken und den Ausbildungsstationen verknüpfen Studierende so beide Elemente direkt in der Praxis. Mit der Verdoppelung der Studentenzahlen seit dem laufenden Wintersemester muss auch das IBAM strukturell vieles „verdoppeln“: mehr Personal, mehr Kooperationen. Mit wachsendem Erfolg werden hier die IBAM-Alumni eingebunden. Daneben forscht das IBAM intensiv an Ausbildungsfragen. Die Ergebnisse finden große internationale Resonanz und Raum auf den führenden Kongressen (z.B. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21670661). Die neue Professur für Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Anthroposophischen Medizin beherbergt strukturell das IBAM, ordnet sich aber faktisch in das IBAM-Team ein. Neben der Ausbildungsforschung werden weitere Projekte durchgeführt. Hier stehen der ärztliche und studentische Umgang mit dem Patienten, der Erhalt der Empathie-Fähigkeit in der Ausbildung oder das „Selbst Handeln“ bei Anfällen im Fokus. Geforscht wird auch an einer Ernährungswende hin zu einer nachhaltigen pflanzenbasierten Kost.

Ein wichtiger Punkt des Nachmittags umfasste ein Plenumsgespräch zu zukünftigen Terminen und zum Umgang mit der wachsenden Eskalation gegen die besonderen Therapierichtungen. Eine respektvolle öffentliche Wahrnehmung und Auseinandersetzung zwischen den besonderen Therapierichtungen und der konventionellen Medizin ist schwer geworden. Die gezielten Angriffe der Skeptikerbewegung (GWUP) z.B. gegen die Homöopathie finden längst nicht mehr auf wissenschaftlicher Ebene, sondern vielmehr dogmatisch verhärtet in der medialen Öffentlichkeit statt. Hier muss reagiert werden. Nur wie? Gerade die Studien der AM-Forschung sollten öffentlich wahrgenommen und der mediale Blick niederschwellig auf die wissenschaftlichen Erfolge gelenkt werden. Das fördert auch eine offenere Sprache und Terminologie, ohne das Anthroposophische zu verdrängen. Ein Erfolg der letzten Jahre und der konsequent guten Arbeit ist, dass die Universitäten die AM akzeptieren. Schon das kann Angriffe entkräften. Ein grundsätzlich gutes Standing der Anthroposophie spiegelt die international und regional positiv ausgefallene Presse zu „100 Jahre Waldorf“ wieder. Nur die überregionalen Leitmedien schaffen hier ein einheitlich-kritisches Bild. Diesem zu begegnen braucht nach wie vor eine gute Strategie: Die eigene Haltung muss kritisch überdacht werden („unbequem in den eigenen Reihen, mit Anschlussfähigkeit und eigener Identität“). Wir müssen unsere Forschungsarbeiten kennen, wissen, wo und wie wir stehen, um auf fester Basis öffentlich als seriös wahrgenommen zu werden und die eigenen Positionen nicht zu verlieren.

Gregor Neunert

Zur Forschung der UWH (Büssing):

Rudolf-Steiner-Fonds:

IBAM-Forschung “Empathy decline and its reasons”:

Veranstaltungen mit Bezug zur Forschung 2020/2021

  • 5.–6.3.2020 —„Zukunft der Forschung AM – Koordination und Rolle“ (Research Council)
    Medizinische Sektion, Dornach
  • 6.–8.3.2020 — Konferenz „100 Jahre Geisteswissenschaft und Medizin“
    Medizinische Sektion, Dornach
  • 28.4.–1.5.2020 — International Congress for Integrative Medicine and Health (ICIMH)
    Cleveland, Ohio, USA
  • 9.5.2020 — Promotions- und Forschungsseminar AM
    Freiburg
  • 12.9.2020 — European Congress for Integrative Medicine (ECIM)
    London, UK und
    Tagung zur Integrativen Medizin
    Universität Basel
  • 12.–20.9.2020 — Jahreskonferenz der Medizinischen Sektion, Dornach
  • 19.–22.5.2021 — World-Congress (ECIM mit ISCMR)
    Florenz

Dieser Artikel erschien im Rundbrief 3/2019 der Akademie GAÄD

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Ankündigungen:


Links zu diesem und weiteren Rundbriefen: