Im Rahmen der Veranstaltung “Prävention:Krankheit vermeiden oder Gesundheit entwickeln?” an der Universität Witten/Herdecke und dem Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke Anfang November stellte Rosa Michaelis das Programm “Selbst Handeln bei Anfällen” vor.
„Die Leute [gehen] durch ihr Leben, ohne eigentlich sich selbst zu betrachten. [Meine Lösung] […] in Form von eine[r] kleinen Pille […]: Schluck und jetzt geht es mir besser. Und das stimmt einfach nicht [immer]: It is not always the pill […]. Sondern Du. Bei Dir steckt es drin. Und das ist Arbeit. Bewusste Arbeit.“
„Ich habe […] nicht das Gefühl, dass ich an der Epilepsie gearbeitet habe, sondern dass ich eigentlich an mir selber gearbeitet [….] und dadurch sind die Anfälle weniger geworden. [Die Epilepsie ist] jetzt ein Mittel zum Zweck, also zu dem Zweck, der mir eine große Bereicherung gebracht hat, irgendwie Dinge über mich zu lernen.“
Die Lebensqualität bei Menschen mit Epilepsie wird durch medizinische und psychologische Faktoren beeinflusst, wobei psychologischen Faktoren eine ebenso große Bedeutung zukommt, wie den medizinischen. Epidemiologische Untersuchungen zur Resilienz bei Menschen mit Epilepsien gehen der Frage nach, welche psychologischen Faktoren Menschen mit Epilepsien eine gute Lebensqualität trotz fortbestehenden Anfällen ermöglichen. Hierbei kommt der Wahrnehmung der Erkrankung (i.S. von Verstehbarkeit und auch Sinnbezug) und der Selbstwirksamkeitsüberzeugung (d.h. der Wahrnehmung eigener Handlungsfähigkeit in Bezug auf die Erkrankung und das Leben allgemein) eine besondere Bedeutung zu. Resilienz lässt sich auch als Verhältnis zwischen wahrgenommenen Belastungen und Kraftquellen/ Ressourcen sehen. Erkrankung bedeutet dabei meist zunächst eine Zunahme der Belastung, die durch die Art der Kommunikation der Diagnose noch weiter verstärkt werden kann, wenn diese sich vornehmlich auf das Aufzeigen von Handlungseinschränkung und Zwängen reduziert. Bei der Epilepsie ist dies u.a. durch die gesetzlich vorgegebenen Handlungseinschränkungen (wie z.B. die Fahruntauglichkeit) häufig der Fall. Wenn diesem Prozess nichts bewusst entgegen gestellt wird, führt dies meist zu einer geringeren Nutzung von vorhandenen Kraftquellen, die sich insbesondere im Lebensrhythmus eines Menschen finden (Schlaf, soziale Kontakte, Ernährung, Bewegung). Dieses subjektiv wahrgenommene Verhältnis von Kraftquellen und Belastungen im eigenen Leben lässt sich zum Salutogenese-Modell von Antonovsky in Beziehung setzen. Je größer die wahrgenommene Belastung im Verhältnis zu den wahrgenommenen Kraftquellen, desto kränker fühlt sich der Mensch. Allein der Perspektivwechsel auf die vorhandene Handlungsfähigkeit kann bereits zu einer veränderten Verortung auf dem Salutogenese Kontinuum führen ohne dass sich „objektiv“ etwas an der Symptomlast (z.B. Anfallsfrequenz) geändert hat. Das ambulante Therapieprogramm „Selbst-Handeln bei Anfällen“ berücksichtigt diese Prinzipien und lotet die Möglichkeiten individuell aus.
Der modularisierte psychotherapeutische Ansatz “Selbst-Handeln bei Anfällen“ wurde maßgeblich durch das US-amerikanischen Arbeitsbuch “Taking Control of Your Seizures“ von der Neuropsychologin Dr. Donna Joy Andrews inspiriert. Der Ansatz besteht aus zwölf Modulen und wurde mit dem Ziel entwickelt, Leserinnen dabei anzuleiten, gesundheitsfördernde Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Es wird u.a. die Identifikation von Anfallswarnzeichen und Anfallsauslösern über eine funktionelle Verhaltensanalyse des Anfallskontextes behandelt. Patientinnen und Therapeutin entscheiden dabei gemeinsam, wie die verschiedenen Behandlungsbausteine des modularisierten Ansatzes auf die individuellen Bedürfnisse der Patient*innen zugeschnitten werden können.
Zu Beginn der Behandlung wird ausgehend von persönlich bedeutsamen anfallsbezogenen Problemszenarien der letzten Wochen und Monate inkl. Problemlösungsversuchen ein persönliches Systemmodell erarbeitet. Mittels eines semi-strukturierten Ressourceninterviews werden bereits vorhandene Ressourcen systematisch erhoben. Die gemeinsam erarbeiteten Variablen werden in max. 20 Fragen eines personalisierten Prozessfragebogens übersetzt. Der personalisierte Prozessfragebogen wird im Laufe der Behandlung mithilfe eines internetbasierten Programms einmal täglich ausgefüllt. Mit der Visualisierung des Antwortverlaufs tritt der Therapieverlauf den ko-kreativ Arbeitenden wie ein Drittes entgegen und ermöglicht die regelmäßige Fokussierung auf wesentliche Therapieziele und eine bessere Verständnisbildung von individuellen seelisch-geistigen Prozessen.
In diesem dargestellten Prozess wird eine Verwirklichung der grundlegenden Prinzipien, die Anne-Gritli Göbel-Wirth und Georg Soldner am Folgetag phänomenologisch darlegten, angestrebt: Der Wille, seinem Gegenüber in Liebe zu begegnen, öffnet einen Raum für intuitives Erkennen, das sich in der Therapie bewusst realisieren darf und beiden Beteiligten auf ihrem karmischen Pfad dient.
Die zeitnahe Verfügbarkeit der Arbeitshefte „Selbst-Handeln bei Anfällen“ wird über den Verteiler der Kommission Psychosomatische Epileptologie kundgetan: https://www.kommission-psychosomatische-epileptologie.de/